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Vollständige Version anzeigen : Isaac Asimov


sash_dc
10.11.2003, 22:20
Isaac Asimov ist wohl der populärste SF-Autor. Seine Foundation-Trilogie zählt zu den absoluten Klassikern des Genres. Asimov studierte Medizin, war Professor für Biochemie in Boston und schrieb zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen. Sein Interesse galt jedoch neben den Naturwissenschaften auch der Technik, der Mathematik und dem Kosmos. So hat er sich schon früh mit Robotik beschäftigt und 1950 den Roman "Ich, der Robot" veröffentlicht.
Besonders mag ich seinen flüssigen, leichten Erzählstil, der einem auch komplizierte technische Details eindrucksvoll und spannend vermittelt. Er erschafft eine komplexe Zukunftswelt, die vielleicht gar nicht so fern ist, wie es scheint. 1951-1953 folgte die Trilogie mit den Romanen "Der Tausendjahresplan", "Der galaktische General" und "Alle Wege führen nach Trantor". Asimovs Geschichten erzählen von Menschen und ihrem Verhältnis zu Technik, zu Robotern, zum Universum und zur Umwelt mit durchaus zeitkritischen Zwischentönen. Insgesamt hat er weit mehr als 300 Bücher veröffentlicht, darunter auch Krimis und Bücher über Physik, Chemie, Biologie, die ich jedoch nicht gelesen habe.
In den späteren Jahren hat Asimov seiner Ur-Trilogie weitere Romane hinzugefügt, und sie zu einem Foundation-Zyklus ausgeweitet. Leider starb er 1992 und konnte sein Werk nicht mehr vollenden. Die Foundation ist insgesamt sehr lesenswert, so daß ich keinen Roman besonders hervorheben kann. Außerdem mag ich "Wasser für den Mars", einen (noch) utopischen Roman, der nicht zur Foundation-Reihe gehört. Der Foundation-Zyklus umfaßt die Robotergeschichten "Geliebter Roboter", "Ich, der Robot", "Der Zweihundertjährige" sowie "Der Mann von drüben" sowie "Die nackte Sonne" sowie "Aurora" sowie "Das galaktische Imperium" sowie "Der fiebernde Planet" sowie "Sterne wie Staub" sowie "Radioaktiv". Dann folgt die Ur-Trilogie bevor es mit den Romanen "Auf der Suche nach der Erde" und "Die Rückkehr zur Erde" abschließt.
Unter dem Namen Asimov erscheinen auch heute noch zahlreiche Werke, bei denen ich jedoch äußerst mißtrauisch bin. Es ist so eine Art Gütesiegel. Allein der Name soll zum Kauf animieren. Aber mit Asimov und seinen Ideen hat das nicht mehr viel zu tun.

sash_dc

BengJaming
10.11.2003, 22:32
Klingt ja spannend - vielleicht sollte ich mir nach meinen Terry Prattchet Eskapaden, die ja nicht mehr so lange anhalten können, weil er ja nicht soooo viele Bücher geschrieben hat, mal ein Buch von Asimov zu Gemüte führen. Kannst Du den eins von ihm empfehlen, was sich auch als Stand alone Lösung mal gut lesen läßt. Ich bin immer so genervt, wenn ich ein Buch angefangen habe zu lesen, was mir nicht so zusagt, aber aus mehreren Bänden besteht. Die muß ich ja dann doch auch alle lesen, damit ich weiß, wie es weitergeht. :D

sash_dc
10.11.2003, 23:19
Also richtige Fortsetzungsromane sind sie alle nicht. Jeder ist in sich abgeschlossen. Ausser der Ur-Trilogie vielleicht. Gut finde ich auch noch "Die fantastische Reise", einen Roman. In dieser skurrilen Story lässt sich eine Gruppe auf mikroskopische Grösse schrumpfen und reist mit einem U-Boot ins Innere des menschlichen Körpers eines Mannes, der im Koma liegend wichtige Informationen besitzt. Also macht sich die Gruppe auf den Weg zum Gehirn. "Wasser für den Mars" ist eigentlich ein Erzählband, der aus vier kürzeren Stories besteht. "Geliebter Roboter" lässt sich auch gut lesen. Ist ebenfalls ein Erzählband, der aus zehn einzelnen utopischen Stories besteht, die sich irgendwie alle mit Robotern beschäftigen. Da ist zum Beispiel die Geschichte mit dem neuen mechanischen Lehrer. Grotesk. "Ich der Robot" ist ein Roman, Asimovs Erstlingswerk. Darin wird erzählt, dass Roboter zwar durchaus nützliche Gesellen sind, aber eben auch ihren eigenen Gesetzen folgen. Das führt eben zu Problemen mit den Menschen, bis hin zur Arbeitsverweigerung und Rebellion. "Der Zweihundertjährige" ist ebenfalls ein Erzählband, bestehend aus zwölf Stories zum Thema Mensch und Roboter. Alles lesenswert. Weitere Romane, die man gut allein lesen kann, "Der Mann von drüben" (auch unter dem Titel "Die Stahlhöhlen") und "Die nackte Sonne". Hier haben Menschen und Roboter Kolonien im Weltall gegründet. Die Probleme im All sind aber doch irgendwie die gleichen wie auf der Erde. "Lunatico" und "Das Ende der Ewigkeit", ebenfalls vielversprechende Stories, habe ich noch nicht gelesen. http://www.staedtebauen.de/modules/RteMulti/pneditor/images/em.icon.smile.gif

Diese Nachricht wurde geändert von: sash_dc, 11.11.03 - 00:48

BengJaming
10.11.2003, 23:38
Hmm - die Foundation Trilogie ist ja auch nicht so teuer - hab sie mir in den Warenkorb gelegt. Danke jedenfalls für den Tip. Kommt auf den Stapel - muß ich unbedingt lesen.

sash_dc
11.11.2003, 03:29
Hallo BJ,
Ich habe mich vielleicht etwas missverstaendlich ausgedrueckt. Die eigentliche Foundation ist Sci-Fi-Literatur im besten Sinne und spielt sich im Weltraum ab. Daneben hat Asimov eben auch viele andere Geschichten und Buecher geschrieben. Nachdem die Foundation sehr populaer wurde, fragte ihn sein Verleger, ob er nicht eine Fortsetzung schreiben koennte. Asimov straeubte sich zunaechst etwas, entwickelte dann aber die Foundation weiter, und zwar dergestalt, dass er alles einem groesseren Rahmen unterordnete, einem Leitfaden sozusagen:

Am Anfang steht der Mensch, Mensch entwickelt Maschinen/Roboter, Mensch macht Ausfluege in den Weltraum, Mensch gruendet Kolonien im All, Mensch lebt komplett im All, Mensch kehrt zur Erde zurueck.

In dieses Schema liessen sich so seine fruehen Robotergeschichten einfuegen. Lag zu einem Punkt noch keine Geschichte von ihm vor, schrieb er einen Roman, der sich einem dieser Leitlinien widmete, um die thematische Luecke zu schliessen. Inhaltlich mussten die Geschichten nichts miteinander zu tun haben, Hauptsache das Thema z.B. Mensch gruendet Kolonien im All war besetzt. Wie gesagt, einiges davon ist unvollendet und unerledigt geblieben. Die Erben versuchen heute nahezu alle seine utopischen Romane und Erzaehlungen in die Foundation-Reihe zu zwingen. Da sind unvollendete Romane ploetzlich vollendet. Es gibt mittlerweile so viel Sammelbaende, dass ich es schwer finde, die einzelnen Werke zu unterscheiden.

MfG
sash_dc http://www.staedtebauen.de/modules/RteMulti/pneditor/images/em.icon.smile.gif

Diese Nachricht wurde geändert von: sash_dc, 11.11.03 - 04:31

tobing
11.11.2003, 08:16
Stimmt - die Foundation-Trilogie ist ein richtiger Klassiker. Besonders zu beachten sind die Robotergesetze, hatte IA die eigentlich schon in der Foundation entwickelt oder kam das später?

Ich muss sagen, nachdem ich ziemlich viel von IA gelesen habe kam mir das irgendwann mal zu den Ohren raus und ich hab alles verschenkt. Stanislav Lem gefällt mir zB einfach besser, von TP gar nicht zu reden. Nicht wegen Thema, sondern vom Erzählstil her.





Und auch hier gibt es wieder die Fortsetzungsproblematik - es gibt tatsächlich so viele Fortsetzungen zur Foundation, die entweder nciht dahingehören und fast gewaltsam dahin gezwungen wurden, oder einfach nicht an die erste Trilogie rankommen. Bin mir nicht so sicher, ob man das alles gelesen haben muss.

SASUKO
12.11.2003, 06:11
[B]Guten Morgen,

als SF-Fan muss man IA wirklich lesen. Zur Info - die Roboter-Gesetze stammen aus der Zeit vor der Foundation. Ein wichtiges Detail zum Lebenslauf von Isaac Asimov - er war russischer Emigrant. Dies ist insoweit wichtig, als er trotzallem dem "russischen" Erzählstil unterliegt und daher oft in langatmige und düstere Beschreibungen abgleitet. Die zügige und überspitzte Erzählung ist seine Sache nicht. Interessant sind seine philosphischen Betrachtungsweisen und die Entwicklung der Geschichte an sich. Allerdings stimme ich zu, dass die Folgebände nicht mehr das recht hohe Level der ersten Romane erreicht. Man merkt einfach auch bei seinen SF-Büchern die hohe wissenschaftliche Ausbildung. Hinzukommt, dass er (soweit ich informiert bin) jüdischen Glaubens war und daher auch eine Menge dieses Hintergrundes in den Schreibstil eingeflossen ist. Er ist sicher kein Autor, den man mehrmals hintereinander liest. Aber trotzallem ist er eine Grundmauer der SF - wie Lem, Clark oder Gibson. Seine Ideen und seine Vorstellungskraft haben Generationen von SF-Autoren beeinflußt. Er war auch Verleger und bei vielem wo heute noch Asimov drauf steht, ist nicht unbedingt Asimov drinnen. Die Erzählungen und Romane von Asimow sind nicht mit Büchern von TP zu vergleichen - ein anderes Grundgerüst und kaum Humor - russisch ernst eben!

Diese Nachricht wurde geändert von: SASUKO, 12.11.03 - 07:14

sash_dc
14.11.2003, 19:44
Hallo ihr,

Man muss vermutlich nicht alles von IA lesen (es sei denn als IA-Fan), die Ur-Trilogie mag reichen und ist genau richtig, aber ich mag eben diesen nüchternen, wissenschaftlichen Erzählstil, der manchem so trocken und langweilig rüberkommt.

@sasuko
Den "russischen" Erzählstil gibt es nicht. Und es wird auch vielen russischen Autoren nicht gerecht, sie in eine bestimmte Schublade zu stecken. Langatmige und düstere Beschreibungen sind überall in der Literatur zu finden, zum Beispiel bei solchen Ikonen der amerikanischen Literatur wie Updike, Roth oder Franzen. Du solltest zur Abwechslung einmal Wladimir Kaminer lesen.

MfG
sash_dc

SASUKO
16.11.2003, 08:05
[B]Guten Morgen lieber sash-dc,

nun hast du mich echt herausgefodert - nicht war? Aber gut, wir wollen dieses Forum ja auch lebendig halten und das Leben besteht nicht nur aus Computerspielen - leider, sonst würde ich schon als Dagobert herumlaufen! Aber ich nehme deine Herausforderung gerne an, weil du damit ein wichtiges Thema berührst, aber auch eines meiner Hobbies in den Vordergrund beförderst - für die ich leider im Moment aufgrund der vielen Arbeit kaum noch Zeit habe. Nur zu deiner Information - ich lese durchaus nicht nur SF od F - ich liebe den Umgang mit der Sprache und bewundere die romantischen Schriftsteller wie Goethe oder Byron. Ich verehre die Satire eines Voltair oder Shakespear, aber auch die ausschweifende Erzählkunst eines Thomas Mann. Aber nun zurück zum "russischen" Erzählstil - mit nachstehender Zusammenfassung meiner Gedanken nehme ich deine Herausforderung an und hoffe auf eine spannende und informative Auseinandersetzung (im Sinne von "sich mit einem Thema beschäftigen") - vorab noch eine Entschuldigung, bei all jenen Forumsnutzern, die sich dafür nicht erwärmen können, da meine Zusammenfassung und Begründung textlich naturgemäß etwas länger ausgefallen ist.



Die "russische" Seele

Die "moderen" russische Literatur wird mit den Theaterstücken und Erzählungen von Alexander Sergejewitsch Puschkin (geb 1799) eingeführt. Er mischte das Drama mit der Romantik und der Satire. Er war Zeitgenosse von Goethe und Byron und wurde stark von Voltair und Shakespear beeinflußt. Bis dahin gab es ledliglich religiöse Legenden oder Volksmärchen, die schriftlich und in der altslawischen Kirchensprache festgehalten wurden. Mit Puschkin beginnt die Aera der russischen Moderne und erstmals hielt die Umgangssprache auch in der Literatur Einzug. Die sog."moderne" russische Literatur mit ihren berühmten Autoren wurde von den sozialen und politischen Umwelzungen so stark beeinflusst, dass man bei den meisten Werken durchaus von einem politischen Roman sprechen könnte. Da es auch unter der Zarenherrschaft Verbannung nach Sibirien und Gefängnis für politisch kritische oder unangepasste Meinungen gab, sahen sich die Schriftsteller gezwungen, ihre Kritik und ihre Meinung in entsprechender Form zu verschlüsseln. Die "moderene" russische Literatur begründet sich also hauptsächlich auf den sozialen und politischen Umwälzungen, dem Elend der Landlosen und der Landbevölkerung. Dem unermäßlichen Reichtum des Hochadels und des Herrscherhauses. Aber auch der zumeist selbstverschuldeten Verarmung des Landadels. Selbstverstädnlich hielten auch die politischen Umwelzungen in ganz Europa (vom napolionischen Feldzug bis hin zum 1. Weltkrieg) Einzug in die russische Literatur. Erstmals wurde aber auch von den russischen Schriftstellern das eigene "Ich" in Romanen verarbeitet. Es wurden die eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten als Vorlage für berühmte Romanfiguren verwendet. Diese drei "Neuerungen" finden sich fast in allen Werken der wichtigsten und berühmtesten Autoren wie Iwan Sergejewitsch Turgenjew (geb. 1818), Fjodor Michailowitsch Dostojewski (geb. 1821), Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi (geb. 1828), Alexei Maximowitsch Peschkow (geb.1868) und Michail Afanasjewitsch Bulgakow (geb. 1891).



Tolstoi schrieb 1898 in sein Tagebuch: "Selbst wenn eintrifft, was Marx voraussagt,

bedeutet das nur, dass sich der Despotismus verlagert. Bislang haben die Kapitalisten geherrscht, dann würden Arbeiterfunktionäre herrschen."

Er war ein weitsichtiger Mann.



Die klassische russische Literatur ist geprägt von der sog. "russischen" Seele,

jenem tiefempfunden Zugehörigkeitsgefühl und der Liebe zum Vaterland. Sie wirkt düster, da die Zeit in der sie entstand, düster war. Sie ist aber auch geprägt durch den vielschichtigen und weitausholenden Umgang mit der Sprache und der enormen Erzählkunst der Autoren. Da es einen Unterschied zwischen der "slawischen" und z.B. der "anglikanischen" Seele gibt, gibt es auch einen entsprechenden Unterschied in der Erzählkunst. Daher behaupte ich - es gibt ihn - den russischen Erzählstil! Dies ist keine Bewertung und schon garnicht als Abwertung zu verstehen. Selbst wenn man zeitgenössische Literatur vergleicht, findet man einen derart grossen Unterschied zwischen Wladimir Kaminer und Gabriel Garcia Marquez, der einen ebenso religiösen, sozialen und politischen Ursprung hat, dass man mit guten Grund von einem typischen Schreibstil sprechen kann. Obwohl die solzialen und die politischen Mißstände in

Lateinamerika anders gelagert scheinen, sind sie im Grunde doch gleicher Natur. Dennoch ist die Verarbeitung in der Literatur einem völlig anderen Stil unterworfen. Dies gilt selbstverstädnlich auch für die zeitgeistige Literatur in Österreich oder Deutschland und deren Literaten. Ein Felix Mitterer ist derart in die österr. Kulturlandschaft und Tradition eingebunden, dass er als z.B. "Sachse oder Norddeutscher" niemals eine "Piefke" - Saga hätte schreiben können.

Diese Nachricht wurde geändert von: SASUKO, 16.11.03 - 09:18

sash_dc
21.11.2003, 17:45
Hallo Sasuko,

Es war mir gar nicht bewußt, dich herausgefordert zu haben. Da habe ich wohl in ein Wespennest gestochen. http://www.staedtebauen.de/modules/RteMulti/pneditor/images/em.icon.smile.gif

"Ich lese durchaus nicht nur SF od F".
Daß du nicht nur SF und F liest, davon bin ich ausgegangen, das habe ich sozusagen vorausgesetzt. :DIch habe im übrigen auch nichts anderes behauptet. Es gibt da einen Running Gag bei mir in der Familie über das Lesen. A:"Ich habe wieder mal ein neues Buch gelesen. Willste das auch mal haben?" B:"Wie dick ist es denn? Och, so dick. Nöööö". A:"Entschuldige, ich habe ganz vergessen. Du liest ja nur Text, der in kleinen Sprechblasen steht." B:""(souverän grinsend und über den Dingen stehend, weil er/sie ja weiß, noch was anderes als Comics zu lesen.)

Dein Essay ist sehr spannend und informativ. Ich habe es mit großem Interesse gelesen. Hinter deinem expliziten Hinweis, du möchtest das Thema sachlich diskutieren, scheint die Befürchtung zu stehen, es könnte zu persönlichen Anwürfen kommen. Du scheinst diesbezüglich schlechte Erfahrung gemacht zu haben. Das ist allerdings nicht mein Stil. Ich rede immer nur über die Sache selbst.





Die Entstehung der klassischen russischen Literatur hast du wirklich umfassend dargestellt. Die Monumentalwerke solcher Klassiker wie Tolstoi oder Dostojewski sind ja bis heute unerreicht. Allerdings sind sie eben alle Kinder ihrer Zeit, die von den damaligen gesellschaftlichen und politischen Umständen geprägt waren. Stichworte: Armut, Kriege, postmittelalterliche Zwei-Klassen-Gesellschaft, weitgehende Rechtlosigkeit und politische Unmündigkeit. Ein Puschkin, Tolstoi oder Dostojewski würde - heute geboren - wahrscheinlich ganz anders schreiben. Die Literatur solcher Epochen ist selbstverständlich thematisch sehr ähnlich. Der Erzählstil hat sich in der Regel durch den Kontakt und Umgang mit seinesgleichen in gemeinsamen Lesezirkeln und Intellektuellenkreisen verfestigt. Man könnte es wohl als frühe Schreibschulen bezeichnen. Ähnliche Strukturen von epochebildenden und -prägenden Gruppen, die sich untereinader beeinflußt und befruchtet haben, finden sich überall in der Literatur (aber auch in anderen bildenden Künsten z.B. in der Malerei). Insoweit stimme ich deinen Ausführungen zur klassischen russischen Literatur zu.

Doch diese Epoche ist passé. Die heutige Generation schreibt anders, weil die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten andere sind. Dies gilt im übrigen nicht nur für russische Literatur. Auch bei uns im deutschsprachigen Raum schreibt niemand mehr wie Goethe oder Schiller. Autoren schreibenmal düster-melancholisch, mal heiter-ironisch. Mal entwickeln sie ihre Charaktere und Geschichten vielschichtig- intensiv, mal flüchtig-oberflächlich. Die eine Erzählung ist kürzer und kurzweiliger als die andere. Wenn das die Kriterien sein sollten, dann müßte jeder zweite Autor/in stilistisch ein "Russe" sein. Ja, mitunter wären sogar verschiedene Werke von ihm/ihr zwei unterschiedlichen Erzählstilen zuzuordnen. Sicher, es mag immer einige Autoren geben, die sich an ihren klassischen Vorbildern orientieren, in dem sie sich deren stilistischer Mittel bedienen. Doch viele haben ihren eigenen Stil, ja man kann sogar sagen eigenwilligen Stil. Zeitgenössische russische Autoren sind und werden experimentierfreudiger. Dies mag ein langsamer und vielleicht im Vergleich zu anderen Kulturkreisen verspätet einsetzender Prozeß sein, der historisch in der langen Isolation Osteuropas begründet scheint. Die neue Weltoffenheit und der Einfluß westlicher Elemente hat auch zu einer veränderten Verarbeitung in der Literatur geführt.Autoren sind eben Kinder ihrer Zeit.

Meines Erachtens gibt es deshalb keine national-ethnischen Erzählstile, sondern nur verschiedene Epochen, in denen einzelne Autoren - natürlich vor dem Hintergrund ihrer religiösen, gesellschaftlichen und kulturellen Wurzeln und Erziehung - stilistische Parallelen aufweisen.

PS: Ich bin mit Verallgemeinerungen immer vorsichtig. Es heißt auch, (alle) Männer schreiben anders als (alle) Frauen. Das kann eigentlich nur beurteilen, wer jedes Buch auf der Welt gelesen hat. Wer hat das schon? Der Mensch will sich doch bloß das Leben erleichtern, in dem er alles sytematisiert und in Kategorien einteilt. Aber Ausnahmen wird es immer geben.
Entschuldigung, ich schweife ab, und wir sollten das Ganze vielleicht besser in einem Literaturforum diskutieren. /modules/RteMulti/pneditor/images/em.icon.smile.gif

LG
sash_dc

SASUKO
23.11.2003, 05:47
[B]Guten Morgen sash_dc,

Zum Thema Herausvorderung - natürlich hast du mich herausgefordert und ich finde es auch total gut so, denn ohne Herausvorderungen gäbe es keine Zivilisation, wenn man unser Dasein mal als solche bezeichnen will. Denn wenn ich mich in den Nachrichten so umhöre, bezweifle ich stark, ob man unseren Umgang miteinander ..... Kein Wespennest, oh nein, einfach nur die Aufforderung, sich mal eine Stunde mit etwas anderem als Tabellen und Flugzeiten zu beschäftigen - also eher ein Gefallen.

Zum Thema "sachlich" - natürlich habe ich auch schlechte Erfahrungen in anderen Foren gemacht, wer hat das nicht? Aber ich kann auch mit persönlichen Angriffen oder Untergriffen umgehen, damit habe ich keine Probleme - wie man so schön sagt, ich bin nicht auf die Schnauze gefallen und kann mich daher gegebenenfalls schon damit beschäftigen. Der Hinweis hat sich eher darauf bezogen, dass ich gehofft habe, bezüglich des Themas wieder von dir zu hören. Vielleicht lege ich jetzt die Forumsregeln mal für mich sehr großzügig aus, aber ich finde - wenn wir schon Filme und Bücher besprechen, dann gehört der "Hintergrund" auch dazu.



Natürlich hast du recht, Künstler sind immer ein Spiegel der Zeit und auch Wegbereiter für Veränderungen. Ich kann jetzt nur von meinen Erfahrungen sprechen, aber in der Regel verarbeite ich Eindrücke und Erlenisse. Diese werden natürlich aus meiner persönlichen Sichtweise dargestellt und niedergeschrieben. Diese persönliche Sichtweise ergibt sich auch aus meiner ethnischen Abstammung. Selbstverständlich habe ich schon versucht, mir eine andere kulturelle und ethnische Abstammung überzustreifen und aus dieser Sicht zu schreiben, kann aber mit ruhigem Gewissen behaupten, dass diese Versuche auch immer nur Versuche bleiben werden, da ich mich nicht wirklich berufen fühle aus der Sicht eines afrikanischen Sklaven, der Schwerstarbeit in den kubanischen Zuckerrohrfeldern leistete oder eines chinesischen Bauarbeiters der nordamerikanischen Eisenbahngesellschaften zu schreiben. Auch wenn ich mir vorab jeder Menge Sachliteratur und Erzählungen einverleibe, kann ich den kulturellen Hintergrund eines Rastafaris nur im Ansatz verstehen.



Mit Kategorien und Verallgemeinerungen sollte man natürlich sehr vorsichtig sein, aber die Zugehörigkeitzu einer Volksgruppe, zu einem Kulturkreis und/oder..... solte jeden Einzelnen von uns eher mit Stolz und Frieden erfüllen. Denn nur wenn man sich seiner Abstammung, seiner kulturellen und ethnischen Herkunft bewußt ist und diese auch akzeptiert, kann man Toleranz und Verständnis für andere Kulturen und Völker aufbringen. Ist man mit sich und seinem Umfeld nicht zufrieden bzw. versteht man dieses nicht, ist das der Nährboden für Eifersucht, Neid und Hass.



Leider gibt es zuwenige Ausnahmen und zuwenige Weltbürger und um einen Bezug zur SF herzustellen, nur wenn die Menschen bereit sind, die Vielfalt und Ausnahmen zu akzeptieren und anzunehmen, wird sie den Schritt in den Weltraum schaffen. Den nur dann sind wir bereit, mit anderen Lebewesen einen friedlichen Kontakt aufzunehmen.



PS: Wenn du dich so umschaust auf der Welt, bist du sicher, dass diese Epochen passé sind? Also meines Erachtens, sind wir nicht sehr weit von den Kriegen und den politischen Versagern des vorigen Jhd. entfernt. Wir haben Glaubenskriege, Machtspielchen, Superreiche (der neue Adelsstand) und furchtbare Armut. Den einzigen Unterschied, den ich sehe - wir benötigen keine 30 Jahre mehr um Millionen von Menschen zu töten oder in die Armut zu bomben - seit dem 2. WK verfügen wir über Massenvernichtungswaffen, die unseren gesamten Planten in wenigen Augenblicken in das grosse Nichts befördern können. Ach ja, wir haben noch einen Vorteil, wir erleben das dann online, Lob und Dank sei CNN!

sash_dc
25.11.2003, 17:49
Hallo sasuko! http://www.staedtebauen.de/modules/RteMulti/pneditor/images/em.icon.smile.gif





Also, die literarische Epoche, von der ich gesprochen habe, ist definitiv passé. Weltpolitisch scheint tatsächlich vieles wiederzukehren, oder war nie wirklich weg, sondern nur gut kaschiert. Dabei heißt es doch immer, Geschichte wiederholt sich nicht. Da sollte man wirklich manchmal an die erste Direktive aus "Star Trek" erinnern: Keine Einmischung von außen in die Entwicklung anderer Kulturen und Völker. Gene Roddenberry würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sich einige seiner Landsleute heute ansehen und anhören müßte.





Zurück zur russischen Literatur. Man darf nicht außer Acht lassen, daß Rußland als Staat erst wieder seit 1992 existiert. Bis dahin waren die russischen Autoren der sowjetischen Zensur und staatlichen Repressalien ausgesetzt, die nicht wenige zur Emigration gezwungen haben. Demokratie und Offenheit waren bis dahin Fremdwörter. Ob Zarenzeit oder Stalinismus, immer bewegte sich die sowjetische/russische Gesellschaft zwischen den Extremen von Despoten, Monarchen und Diktaturen. Das schlägt sich auch in der Literatur nieder. Deswegen unterschied sich der Wandel in den 90ern deutlich von vorherigen "Kulturrevolutionen". In einer Phase beispielloser Offenheit und (fast) völliger Zensurfreiheit stürzte plötzlich alles auf Rußland ein, was es vorher nicht gab: früher verbotene ausländische Schriftsteller des 20.Jhts, die Emigrantenliteratur, das westliche Gedankengut, die Kultur des Underground (Subkulturen), Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Computer und nicht zuletzt das Internet. Das alles hat der russischen Literatur einen derartigen Schub verliehen, daß sie heute so modern, vielfältig und aktuell ist, wie lange nicht mehr.

Und ich bin überzeugt, diese Entwicklung wird sich noch fortsetzen. Auch wenn sich in den letzten Jahren deutliche Rückschritte in der politischen Demokratisierung Rußlands ergeben haben. Heutigen Umfragen zufolge (Pew Global Attitudes Project 2003) sagen 80% der Russen, eine florierende Wirtschaft ist ihnen wichtiger als eine funktionierende Demokratie. 70% sagen, eine starke Hand ist ihnen wichtiger als eine demokratische Regierung. Bei den Grundwerten wie Pressefreiheit meinen nur 30%, sie sei wichtig. Ähnlich sieht es bei Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, fairen Wahlen oder unabhängiger Justiz aus. Also der Sowjetmensch ist nicht so leicht aus den Köpfen zu kriegen. Das sah aber 1991 beim Zusammenbruch der Sowjetunion in der ersten Euphorie schon mal ganz anders aus.

Interessant ist, daß das auf die russische Literatur relativ wenig Einfluß hat. Deren ideologische Bedeutung hat eindeutig nachgelassen, wenn auch die Verwendung sowjetischer Symbolik immer noch heftige Reaktionen auslöst. Man kann auch sagen, der russische Alltag hat in der Literatur Einzug gehalten. Neue Impulse kommen vor allem von außerhalb aus Migrationszentren wie Amerika (Shteyngart) oder Deutschland (Kaminer). In den letzten Jahren drängen überwiegend neue Autorinnen auf den Markt und bringen viel frischen Wind mit. Frauen waren bis dahin eine literarische Randerscheinung. Dabei experimentieren gerade die ganz jungen Autoren mit anderen Stilmitteln und Sichtweisen, weil sie ein anderes Rußland kennen und erleben, als es Generationen vor ihnen immer beschrieben haben.





Rußland war der Schwerpunkt der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, undich warschon beeindruckt, wie sich die Bandbreite der modernen Literatur erweitert hat. Als nächstes werde ich mir "Komm" von Irina Denezkina kaufen (S.Fischer Verlag). Sie ist erst 22 Jahre und schreibt in mehreren Erzählungen über ihre Generation im Stile anzusiedeln zwischen "Der Fänger im Roggen" und "Soloalbum". Eine Großstadtjugend zwischen Pepsi, MTV, Rock-Konzerten und Internet, die so gar nicht anders zu sein scheint, als die unsere. Es soll sehr lesenswert sein. Mal sehen, wieviel Einfluß hier noch der Erzählstil und Werte der Klassiker und traditionellen Literatur haben, und wieviel Einfluß westliche Moderne und Werte haben.

Da ich ab Donnerstag in den Urlaub düse, kann ich diese interessante "Herausforderung" leider ein paar Wochen nicht wahrnehmen. Fortsetzung eventuell, wenn ich wieder zurück bin. ;)

MfG
sash_dc

SASUKO
26.11.2003, 05:33
Guten Morgen sash_dc

tja was bleib mir - ausgenommen dir einen schönen Urlaub zu wünschen - und bitte schön, was bedeutet bei dir Wochen? Wie lange müssen wir den auf dich hier verzichten? Lass es dir gut gehen und reise mit Interesse und Vergnügen, den nur so macht Reisen wirklich Sinn.

lg Sasuko

sash_dc
27.11.2003, 07:39
Hallo sasuko,

Nicht lange genug, fürchte ich. Werde schon Mitte Dezember aus der ewigen Stadt zurück sein. Danke für die guten Wünsche!

LG
sash_dc

cassandra2
27.11.2003, 10:36
Booooooo



Rom, einmal sehen und sterben! :( :( :(



Ich platze vor Neid



Schönen Urlaub Cass

sash_dc
16.12.2003, 16:08
Hallo an alle,





Ich nutze mal diesen Thread, um mich wieder aus dem Urlaub zurückzumelden. *Seufz* Muß mich erst mal an dieses scheußliche Wetter gewöhnen. *O sole mio, wo bist du geblieben?* Aber Rom ist definitiv eine Reise wert. Gigantisch! Aber ich muß die ganzen Eindrücke erst mal verarbeiten. Konnte mir auch als Städtebauer einige Anregungen holen. ;)Städtereisen sind ja generell zu empfehlen. Naja, mal sehen, wie es im nächsten Jahr aussieht. Norddeutsche Großstädte im Mai sollen ja auch nicht zu verachten sein.http://www.staedtebauen.de/modules/RteMulti/pneditor/images/em.icon.smile.gif

LG
sash_dc